Saturday, October 4, 2008

nach 100 Tagen und 2500 km am Ziel in Santiago de Compostela

Hallo liebe Blogleser.

Ich entschuldige vielmals meine Verspaetung des Beitrags ueber meine Ankunft in Santiago und die letzten Tage meiner „Reise“, aber direkt in Santiago wollte ich alles Erfahrene erst einmal setzten lassen und in meinen Tagen in Portugal hatte ich keine Lust lange Zeit vor einem Computer zu verbringen – und wie es so ist, faellt man natuerlich daheim sofort wieder in den Alltag zurueck und der Weg ist fast, aber nur fast (!) schon vergessen.

Ich musste soviel mit der Universitaet und Hamburg organisieren, dass ih gar nicht mehr daran gedacht habe, einen Blog zu schreiben. Wichtiger war es erstmal ein Zimmer in Hamburg zu finden, um nicht noch laenger als Obdachloser leben zu muessen. Mittlerweile habe ich ein Zimmer und befinde mich gerade wieder auf dem Heimweg von Hamburg nach Weissenburg um alles fuer den Umzug bereit zu machen.

Aber nun zu den fuer euch interessanten Zeilen hier in meinem Jakobsweg- (und nicht Studienblog).

Ich erinnere mich zurueck, dass der letzte Eintrag aus Leon war. Das war ca. 8 Tage vor Santiago. Natuerlich kann ich jetzt nicht mehr Tag fuer Tag wie sonst schreiben, aber ich versuche mich noch einmal zu erinnern.

In Leon plante ich eine Art Pausetag, da mich die 40 – 50 km taeglich in den kaputten Schuhen doch ziemlich mitgenommen haben. Auch wenn ich trotzdem 20 km laufen musste genoss ich den Tag wie noch mal was. Die Herberge bei den Benediktinerinnen war zwar mit knapp 200 Gaesten total ueberfuellt aber ich versuchte die Zeit im Gottesdienst und mit Lesen ausserhalb des Schlafraums zu verbringen. Der Gottesdienst in Leon war fuer mich etwas besonderes. Zum einen fiel mir zum ersten Mal bewusst auf, dass die meisten Pilger kein Interesse an der heiligen Messe haben.Von ca. 200 Schlafgaesten im Kloster gingen nur etwa 5 Stueck in die heilige Messe, die wunderschoen mit den Gesaengen der Benediktinerinnen ummalt waren. Ich schloss einfach die Augen und lauschten den span. Gesaengen. Ploetzlich ging allerdings die Tuer im Gotteshaus auf und zwei italienische Filmpilger kamen mit grossen Kameras herein um den Gottesdienst zu filmen. Ich verspuehrte das Gefuehl, den Gottesdienst nicht mehr wie zuvor geniessen zu koennen und drehte mich darauhin jedes Mal weg oder wechselte den Platz, als die Filmer die Kamera auf mich schwenkten. Allerdings registrierten sie meine Abneigung erst, als ich waehrend dem Gottesdienst meine Jacke anzog und gehen wollte, da der Gottesdienst fuer mich gelaufen war.

Auch in den Schlafsaalen oder am morgen beim packen wurde alles wie bei „Big Brother“ aufgezeichnet um auf irgnedeiner ital. DVD als Pilger gesehen zu werden. Mir war das extrem unangenehm, da ich eine gewisse Anonymitaet entwickelt hatte und nicht mochte, dass ich irgendwo im TV als Pilger zu sehen bin.

Witzig war allerdings die Pilgermesse am Abend. Ich rechnete erneut mit nur 5 Besuchern, da es ja den Anschein machte, dass die Pilger nicht sehr religioes waeren. Allerdings waren ploetzlich ueber 100 Leute da und aergerte mich ueber das Verhalten der anderen. Entweder ich gehe zu jedem Gottesdienst oder zu keinem. Aber nicht nur zur ausgewaehlten Pilgermesse.

Von Leon, der schoensten Grossstadt auf dme Camino Frances bekam ich so gut wie nichts mit, was aber nicht weiter schlimm war. Ich hatte mittlerweile genug gesehen.

In meinen letzten Tagen fiel mir ausserdem auf, dass ich immer weniger mit en Leuten ins Gespraech kam. Ich hatte das Gefuehl, genug Leuten begegnet zu sein und wollte nun Zeit mit mir selbst und nicht mit der staendig gleichen Beantwortung der Fragen, wie der Weg von Deutschland nach Spanien war, verbringen.

Nach Leon nahm Gott sei Dank die Messeta ein Ende und die langersehnten Berge kamen zurueck. Zudem stellte ich den Streckenrekord von 55 km auf. An diesem Tag erlebte ich etwas schlimmes, was mich aber noch zu sehr bewegt, um es hier niederzuschreiben. Manche kennen die Geschichte vom Hund ja schon.

Ich kam an weiteren bekannten Ortschaften und Stellen auf dem Camino de santiago vorbei, wie dem Cruz de Ferro oder der Pilgerherberge in den Bergen die von einem Einsiedler in der Tradition der Kreuzritter betreut wird. Allerdings beeindruckten mich auch diese Orte nicht, da es einfach wieder von Pilgern und Touristen (und dann auch noch Deutschen) wimmelte.

Ich hatte ausserdem noch ein unangenehmes Erlebnis in einer Pilgerherberge, die sich auf den ersten Blick als hervorragend darstellte. Die Herberge war auf Spendenbasis und zudem gab es fuer alle Abendessen und es sollte gemeinschaftliches Fruehstuck geben. Der Hospitalero war sehr korrekt und ueberpruefte beim Empfang die Personalausweisnummer des Pilgerausweises mit dem Perso, was bisher noch niemand gemacht hat. Essen durfte man erst, wenn ein Gebet gebetet wurde. Allerdings kam es in der Frueh zu einem Zwischenfall, da ein Mann um halb 6 auf die Toilette ging und dabei ausversehen den Hospitalero weckte. Dieser bruellte in der ganzen Herberge herum, dass der Mann zurueck ins Bett zu gehen hat und man vor 6 Uhr das Bett laut Herbergsregeln nicht verlassen darf – auch nicht fuer die Toilette. Daraufhin wurde der Mann um 6 Uhr vor die Herberge gesperrt. Ale anderen waren so geschockt, dass keiner mehr Fruehstueck nahm und sofort nach 6 Uhr die Herberge verliess.

Am naechsten Abend sollte ich zufaellig wieder einen jungen Kerl aus Irland treffen, den ich schon 1,5 Wochen zuvor in Belorado kennen lernen durfte. Wir freuten uns enorm ueber unser Wiedersehen und verbrachten den ganzen Abend in der Herberge miteinander. Am naechsten Morgen zogen wir gemeinsam los und hatten einen sehr schoenen Wandertag und vertrauten uns viel an. Genau diesen Iren traf ich eine Woche spaeter erneut in Santiago, als ich schon wider aus Fisterra zurueck kam und er gerade dorthin aufbrach. Er war eine der wenigen intensiven Bekanntschaften fuer mich auf dem span. Weg.

Die letzten Tage vor Santiago, insbesondere die letzten 3, als die letzten 100km vor Santiago de Compostela anbrachen wurden extrem voll. Zum einen fuehrten nun alle Wege zusammen auf den Camino Frances. Der Kuesenweg, die Via de la Plata und der primitive Weg. Ausserdem waren nun vermehrt spanische Menschen auf dem Weg, die in Sarria, 110 km vor dem Ziel begannen, um in Santiago ein fuer ihre Bewerbungsunterlagen wichtiges Dokument, die Compostela (die Pilgerurkunde) zu bekommen. Von da an begann ein Wettlauf um die Betten in den viel zu kleinen Herbergen in Galizien. Gott sei Dank war ich mittlerweile zum Fruehaufsteher mutiert und gut bei Fuss, so dass ich mir keine Gedanken mahcne brauchte. Trotzdem gab es immer noch Pilger, die ich noch in der Frueh im dunklen ueberholte, die dann aber spaeter schon ausgeruht im Bett der Herberge lagen. Wie die das wohl gemacht haben??? Und wieso fuhren eigentlich staendig diese Autos mit der Aufschrift Taxis in die eine Richtung leer und in die andere voll an mir vorbei?

Langsam wurde es Zeit mein Ziel zu erreichen, auch wenn Santiago mittlerweile gar nicht mehr wirklich wichtig fuer mich war. Ich hatte alle meine Wuensche, Fragen etc. mit denen ich los bin, bekommen und beantwortet. Fuer mich war der Weg von Santiago zum Kap Fisterra, ans Ende der damals bekannten Welt viel wichtiger, da dort der Jakobsweg einfach verschwindet – im Meer. Fuer mich sollte das das symbolische Ende meiner Reise sein.

Trotz meienem Wunsch endlich am Zeil zu sein, entschied ich mich doch dafuer, 5 km vor Santiago noch mal zu uebernachten, um mit voller Energie in die Stadt gehen zu koennen und noch mal das Gefuehl, auf dem Weg zu sein geniessen zu koennen.

Der Abend vor Santiago war super. Zum ersten Mal lernte ich 2 Maedchen in meinem Alter kennen mit denen ich endlich mal wieder Zeit und Lust fand ueber tiefgruendigen Gedankenstoff zu reden. Liebe Gruesse an der Stelle nach Konstanz und Mannheim(?) oder Heidelberg(?) *g*.

Am morgen wollte ich noch im dunklen Santiago erreichen um die Kathedrale im Sonnenaufgang erleben zu koennen, und zum ersten Mal wurde ich nicht im Gegensatz zu meiner Vorfreude enttaeuscht. Das Gefuehl in Santiago vor der Kathedrale zu sein war zwar nicht so, wie alle beschreiben, dass man den anderen Pilgern um den Hals faellt und weinen muss, aber dennoch war es toll endlich nach 2500 km und ganz zufaellig genau 100 Tagen dort zu sein, wo der Weg offiziell endet. Mein Glueck war es, absolut alleine an der Kathedrale zu sein und deswegen musste ich zunaechst mal ein paar Telefonate fuehren. Als naechstes ging ich ins Pilgerbuero um meine Urkunde abzuholen, wo ich allerdings extrem enttaeuscht wurde. Bevor ich meine Compostela bekam ueberpruefte die Frau im Buero, ob ich auch wirklich die letzten 6 Stempel habe, die fuer die Urkunde notwendig sind. Dabei wurde ich extrem sauer, da ich ungefaehr 200 Stempel habe, die anscheinend alle total unwichtig sind. Letztendlich hatte ich Glueck und hatte die letzten 6 und bekam mein Zeugnis das allerdings auch derjenige bekommt, der nur 100 km gelaufen ist. Es gibt keinerlei Unterschied oder Merkmal auf diesem Wisch zwischen einem 100km- und einem 2500km-Laeufer. Den Tag vertieb ich mir schoen in Santiago, besuchte die Pilgermesse, die mehr Schauspiel anstatt Messe war, was vielleicht auch an 30 % Pilger/ 70% Tourist lag oder an der atemberaubenden Schwingvorstellung des 54kg schweren Botafomeiros, des grossen Weihrauchkessels.

Irgendwie konnte ich Santiago aber noch nicht geniessen, da ich wusste, noch 2 Tage laufen zu muessen (ja, es wurde allmaehlich zu einem MUESSEN!). Also stellte ich mich lieber mental auf den Weg nach Fisterra ein, der sich letztendlich als schoenstes Wegstueck des gesamten spanischen Weges entpuppte. Der Weg war zwar nicht mehr so ueberfuellt wie zuvor, das viele die 90 Extrakilometer nicht mehr auf sich nehmen, aber trotzdem waren die Herbergen zu klein. Ich war allerdings immer unter den ersten und hatte somit keine Probleme. Das tolle an diesem Weg war zum einen die super Landschaft und Weggestaltung. Groesstenteils ging es durch Waelder und am letzten Tag dann am Meer entlang. Ausserdem liefen alle Pilger ueber die 3 Tage die gleichen Etappen und somit traf man sich jeden Abend und kannte jeden der etwa 35 Pilger, die zeitgleich mit einem unterwegs waren. Wir sassen Abend fuer Abend zusammen, kochten und plauderten. Ich genoss die letzten 3 Tage wirklich mit voller Leidenschaft, auch wenn ich am zweiten Tag ein absolutes Tief wie fast noch nie auf dem Weg hatte. Ich wollte endlich ankommen und aus meinen Schuhen raus. Mich nervte einfach alles woran ich vorbei ging. Egal ob es der Hofhund, der Traktorfahrer oder sonst was war. Ich wollte ans Ende kommen; ans Ende der Welt.

In Fisterra angekommen wurde ich zuerst von wunderschoenem Sonnenschein und dem richtigen Meerwetter ueberrascht. Das Meer war richtig angenehm warm und schoen sauber und es war ein enorm gutes Gefuehl, zu wissen, dass man aus eigenen Kraeften von der eigenen Haustuer bis zum Atlantik in Westspanien gelaufen ist. Abends versammelten sich alle Pilger Kap unterhalb des Leuchtturms um den einzigartigen Sonnenuntergang zu beobachten. Der Sonnenuntergang war der schoenste auf dem gesamten Weg! Als es dann dunkel wurde packte ich meine Klamotten aus, die ich mir unterwegs auf dem Camino gekauft hatte und begann damit, sie und meine Medikamente in ein Lagerfeuer zu verwandeln. Dieses Gefuehl war eine richtige Genugtuung. Der ganze Schweiss und alle guten und schlechten Erinnerungen waren somit Symbolisch in Flammen aufgegangen und ich war bereit wieder in mein normales Leben zurueck zukehren.

Die Nacht in Fisterre, die erste ohne richtigen Zeitdruck und Wanderung am naechsten Morgen war unglaublich entspannt.

Der Bus brachte mich zurueck nach Santiago wo ich wie oben bereits erwaehnt wieder den Iren traf und endlich die Stadt voll auskosten konnte. Ich besichtigte auch Gebaeude die nicht zu Pilgersehenswuerdigkeiten gehoerten und verbrachte einfach die Zeit damit, mir die Leute in den Strassen anzusehen und Souvenirs zu kaufen. Ausserdem schrieb ich knapp 30 Postkarten. Ich verspuehrte einfach eine gewisse Verpflichtung gegenueber den Leuten, die mir auf dem Weg die Tuer oeffneten und mich vorm Verhungern retteten. Ich dachte, dass ich ihnen wenigstens eine Postkarte schuldig waere.

Nun begann fuer mich eine neue Zeit. Keine Zeit mehr als Pilger auf dem Jakobsweg, sondern als Tourist und Staedtebesichtiger. Mein weiterer Weg fuehrte mich per Bus und Zug nahc Portugal, Porto und Lissabon, von wo aus ich auch meinen Rueckflug nach Deutschland hatte.

Bei Gelegenheit werde ich noch ein paar Worte ueber meine Woche in meinem absoluten Lieblingsland, Portugal, verlieren und evtl die Praegungen meines Alltags niederschreiben.

Ich bedanke mich zunaechst bei allen, die regelmaessig www.simonschmidt.de aufgerufen haben und haben staendig in Gedanken bei mir waren.

Es tut mir leid, nicht in geregelten Abstaenden und dafuer in angemessenen Laengen geschrieben zu haben, aber es gab natuerlich wichtigeres fuer mich, als meine Erfahrungen der Oeffentlichkeit darzulegen.

Danke auch, dass ihr euch immer durch die langen Texte gekaempft hat. Ich hoffe, dass ich nicht so viele Fehler gemacht habe und keinen Schwachsinn und langweiliges Zeug geschrieben habe. Aber generell lese ich Texte, die vom Herzen geschrieben werden nicht Korrektur, da ich sie sonst verfaelschen wuerde. Wenn Saetze unvollstaendig waren, dann stehe ich dazu, weil der Gedanke in meinem Kopf eben noch nicht ausgereift war.

Ich wuerde mich sehr freuen, wenn sich der ein oder andere trotzdem noch ab und zu auf meiner Homepage blicken lassen wuerde. Natuerlich gibt es nicht mehr so lange Blogeintraege, aber vielleicht andere interessante Neuigkeiten ueber mich, Simon Schmidt.

Ich moechte ausserdem die Gelegenheit nutzen und allen Menschen hier unbedingt die Baobab Family ans Herz legen. Es handelt sich um ein Projekt fuer Waisenkinder in Kenia, das absolut empfehlenswert ist. Werft dazu einfach einen Blick in das Video auf meiner Startseite und schaut euch auf der offiziellen Website www.baobabfamily.org mal um. Es gibt viele Wege, den Kids zu helfen. Sei es mit Geld oder mit Zeit!

Ich danke allen dafuer.

Simon Schmidt

No comments: